Analysiert das Freitagsblatt Nr. 2/1 im Januar 2000 das
Urteil des VerwG Darmstadt zum Schächten
Die Zeitung schreibt im Wortlaut: In
einem Artikel der Zeitschrift Al-Islam 6/99 mit dem Titel „Schächten zum
Opferfest“ nimmt der Herausgeber Stellung zum Urteil des Verwaltungsgerichts
Darmstadt und bemängelt, daß künftig nur IRH-Mitgliedern das Schächten zum
Opferfest erlaubt sein könnte.
Weiter kritisiert der Herausgeber die organisatorische
Struktur der IRH und stellt eine mehrdeutige Frage nach der islamischen
Verpflichtung zur Beachtung der bundesdeutschen Rechtsordnung durch Muslime.
Diese Aussagen werden im folgenden analysiert und
richtiggestellt.
Zu den Aussagen von Al-Islam zum Urteil des
Verwaltungsgerichts sowie zur Struktur der IRH ist zunächst festzustellen,
daß die angesprochenen Themenbereiche mangels (Fach-)Wissen völlig
undifferenziert und teilweise falsch dargestellt wurden.
Abgesehen von der Tatsache, daß viele Muslime sich immer
wieder über die Arroganz der bundesdeutschen Medien beklagen, die ohne den
Kontakt zu den Betroffenen zu suchen, Halbwahrheiten und Falschinformationen
über den Islam und die islamischen Organisationen verbreiten, stimmt es eher
nachdenklich, daß scheinbar auch die Medien der Muslime auf dieses Niveau
gesunken sind.
Die IRH hätte es begrüßt, wenn der Autor, vor der
Veröffentlichung seiner „Thesen über die IRH“ das Gespräch mit der IRH
gesucht hätte, da es nach unserem Islamverständnis sowohl zum guten
journalistischen Stil als auch zur islamischen Etikette gehört, Nachrichten
vor der Weiterverbreitung auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Al-Islam-These „Schächten“
Der Autor bemängelt in seinem Artikel, daß durch das
Urteil des Verwaltungsgerichts zum Schächten „das legale Durchführen
einer vom Islam für alle Muslime allgemein vorgegebene Handlung in
Abhängigkeit zur Mitgliedschaft in einer speziellen Gemeinschaft gebracht
wird“.
Diese Kritik, die in diesem Artikel noch islamologisch
ausführlich besprochen wird, geht völlig am Thema vorbei - sicherlich
mangels juristischen Fachwissens und fallspezifischer Hintergrundinformation.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt befaßt sich mit einer Klage, die
ein ganz bestimmtes Ziel verfolgte. Dieses Ziel der IRH wurde in erster
Instanz erreicht. Ohne die politische Realität in der Bundesrepublik
Deutschland zu berücksichtigen, ohne den juristischen Hintergrund zu
erläutern und ohne die anderen Klagen der IRH zum gleichen Punkt zu
erwähnen, versucht der Autor den Eindruck zu erwecken, die IRH verfolge
egoistische, islamisch fragwürdige Ziele.
Richtigstellung:
1. Politischer Bereich
Bekanntermaßen ist die Bundesrepublik Deutschland ein
föderativer Staat, der in Bundesländer gegliedert ist, die in sehr vielen
Bereichen autonom handeln. Diese Landeshoheit gilt beispielsweise im
Kultusbereich, der unter anderem in Fragen der Religionsfreiheit und des
islamischen Religionsunterrichts zuständig ist. Um die den Muslimen im
Grundgesetz garantierten Rechte einfordern zu können, ist es notwendig, einen
Ansprechpartner für den Staat auf Landesebene zu etablieren. Dies haben
Muslime in Hessen getan. Die IRH ist nach ihrer Struktur eine
Religionsgemeinschaft, die ausschließlich auf hessischer Landesebene und
ausschließlich für ihre Mitglieder agiert! Ziel der IRH ist es nicht,
Muslime in anderen Bundesländern von ihren Rechten auszuschließen, sondern
Anstoß zu geben, in ähnlicher Weise auch in anderen Bundesländern aktiv zu
werden.
2. Juristischer Bereich
Der Autor bemängelt völlig zu Unrecht die nicht
vorhandene Allgemeingültigkeit des Urteils. Da dies wegen der Besonderheit
des Falles nicht angestrebt war, konnte es auch nicht erlaubt werden.
Bekanntermaßen kann von einem Gericht nur das verhandelt und erlaubt werden,
was eingeklagt wurde.
Das ist normale Praxis in allen islamischen,
pseudo-islamischen und nicht-islamischen Ländern und ist als juristische
Selbstverständlichkeit bei der Bewertung des von Al-Islam kritisierten
Urteils zu beachten. Bei diesem Prozess hat eine „Privatperson“ geklagt
und nicht die IRH als solche. Die Klage gewonnen hat ebenfalls dieses
IRH-Mitglied als Privatperson und zwar nicht, weil er nur Muslim ist, sondern
einzig auf Grund der Tatsache „weil der Kläger Muslim und gleichzeitig
IRH-Mitglied ist und weil die IRH als Religionsgemeinschaft anerkannt wurde“.
Diese Praxis, daß nur das genehmigt wird, wofür ein
Antrag gestellt wurde, kennen wir auch in anderen Bereichen. Wenn Frau X einen
Paß beantragt, bekommt sie keinen Führerschein. Und den Paß erhält
natürlich nur Frau X und nicht Herr Y oder die gesamte Großfamilie von X.
Den Antrag auf einen Paß oder wie hier auf Ausnahmeregelung zum Schächten
muß jeder für sich selbst beantragen, bzw. die jeweiligen Ansprechpartner
der Muslime müssen Anträge in den einzelnen Bundesländern stellen.
Die IRH ist für ihre Mitglieder in Hessen für die
Erlaubnis zum Schächten beim Opferfest aktiv geworden, und zwar mit drei
verschiedenen Klagen. Mit einer Feststellungsklage der IRH gegen das Land
Hessen - diese wurde noch nicht verhandelt. Mit einer
Fortsetzungsfeststellungsklage der IRH gegen das Land Hessen - diese wurde
noch nicht verhandelt. Und mit einer Fortsetzungsfeststellungsklage des
IRH-Mitglieds gegen das Land Hessen. Dieser Klage wurde in erster Instanz
stattgegeben.
3. IRH-Struktur
Zur Begründung seiner Urteilskritik führt Al-Islam an,
die IRH habe den Status einer „religiösen Gemeinschaft“, um
anschließend von einer „Religionsgemeinschaft“ zu sprechen und
zwei Sätze weiter die These aufzustellen, daß „andere muslimische
Initiativen, die sich ebenfalls als „Religionsgemeinschaft verstehen“,
sich auf die IRH berufen könnten.
Religionsgemeinschaft / religiöse Gemeinschaft
Der Autor kritisiert die Struktur der IRH ohne sie
substanziell verstanden zu haben. Allein die Tatsache, daß er die Begriffe
„religiöse Gemeinschaft“ und „Religionsgemeinschaft“ als Synonyme
benutzt und postuliert, man brauche sich nur „als Religionsgemeinschaft zu
verstehen“, um anerkannt zu werden, beweist seine Inkompetenz in diesem
Fachgebiet.
Das Wort „Religionsgemeinschaft“ auf welches das Urteil
eingeht, bezieht sich nicht auf ein subjektives Selbstverständnis, sondern
ist ein genau definierter Fachbegriff, mit dem Gemeinschaften benannt werden,
die bestimmte objektive Kriterien erfüllen und denen aufgrund dieses
definierten Status „Religionsgemeinschaft“ bestimmte Privilegien
zugestanden werden.
Eine „Religionsgemeinschaft“ in Hessen muß folgende
Kriterien erfüllen:
- Mitglieder sind ausschließlich Einzelpersonen die der
gleichen Religion angehören.
- Sie hat eine verfaßte Struktur und ist auf Dauer
angelegt.
- Sie hat eine eigene religiöse Instanz.
- Sie hat ihre religiösen Grundsätze eigenverantwortlich
schriftlich definiert und sich nach außen abgegrenzt.
Die IRH hat all diese Kriterien erfüllt und sich als
Religionsgemeinschaft aufgebaut, um einen Ansprechpartner für ihre Mitglieder
in Hessen zu etablieren.
- Die IRH hat nur natürliche Personen als Mitglieder -
siehe Satzung.
- Sie hat eine verfaßte Struktur und ist auf Dauer
angelegt - s. Satzung.
- Sie hat einen Fiqh-Rat als eigene unabhängige religiöse
Instanz.
- Sie hat ihre religiösen Grundsätze eigenverantwortlich
schriftlich festgelegt und als „Darstellung der Grundlagen des Islam“
veröffentlicht. Diese „Definition des Islam“ wurde von allen islamischen
Organisationen in Hessen mit Stempel und Unterschrift genehmigt, so daß hier
erstmals in der Geschichte des Islam in Deutschland ein religiöses
Konsenspapier muslimischer Organisationen vorliegt.
Auch wenn die in Deutschland etablierten islamischen
Organisationen ebenfalls mitgliedschaftlich organisiert und auf Dauer angelegt
sind und eine verfaßte Struktur haben, sind viele von ihnen nach der
Definition des Gesetzgebers trotzdem „nur religiöse Gemeinschaften“, weil
sie die genannten Kriterien einer „Religionsgemeinschaft“ nicht komplett
erfüllen. Bei allen fehlt die notwendige Abgrenzung nach außen, also die
klare schriftliche Definition der religiösen Inhalte und bei den meisten
fehlt eine autorisierte religiöse Instanz.
Eine „religiöse Gemeinschaft“ ist juristisch
betrachtet jeder irgendwie geartete Zusammenschluß mit religiösen Zielen von
Muslimen oder Andersgläubigen, d. h. jede Moscheegemeinde und jedes
islamische Zentrum ist eine religiöse Gemeinschaft. Aufgrund der
Nichterfüllung aller juristischen Vorschriften können diese Gemeinschaften
nicht in den Genuß der Privilegien einer „Religionsgemeinschaft“ kommen
und stellen in vielen Bereichen keinen Ansprechpartner für den Staat dar.
Unabhängigkeit der IRH
Al-Islam stellt ohne jegliche Beweise die Behauptung auf,
die IRH „sei auf Betreiben des Hessischen Kultusministeriums (HKM)
gegründet worden“.
Dies entspricht nicht der Wahrheit. Die IRH ist politisch,
organisatorisch und finanziell unabhängig. Anstoß für die Gründung der IRH
war zwar die Forderung des HKM, einen Ansprechpartner für die Einführung des
islamischen Religionsunterrichts zu etablieren, doch Gründung und Etablierung
der IRH waren unabhängig, sowohl vom Kultusministerium als auch von anderen
deutschen oder nicht-deutschen Stellen. Die IRH arbeitet überparteilich und
völlig unabhängig für die Interessen ihrer Mitglieder.
In der Urteilsbegründung des Gerichts wird dies auch
deutlich: „Vielmehr wurde sie (die IRH) als eine gemeinsame und ständige
Informations- und Gesprächsebene für die religiösen Interessen der ihr
angehörenden Muslime gebildet“.
Fiqh-Schulen/Schächtvorschriften
Nicht nur in Bezug auf Struktur und Organisation der IRH,
sondern auch in Bezug auf die islamischen Schächtvorschriften läßt Al-Islam
Niveau vermissen. Wie vorher zitiert, wird behauptet:
„Das legale Durchführen einer vom Islam für alle
Muslime allgemein vorgegebenen Handlung wird so in Abhängigkeit zur
Mitgliedschaft in einer speziellen Gemeinschaft gebracht.“
Zunächst ist zu fragen, was der Autor unter einer
allgemein vorgegebenen Handlung versteht? Meint er damit, die Vorschriften zum
Schächten seien in der gesamten islamischen Welt unumstritten und nicht
interpretierbar und so endgültig und präzise festgelegt, wie das Alkohol-
und Schweinefleischverbot? Das dies nicht so ist beweisen uns die vielen
Prozesse, die bisher in Deutschland zu diesem Thema geführt wurden, und die
nur deshalb immer wieder verloren wurden, weil verschiedene islamische
Gelehrte aus verschiedenen Ländern unterschiedliche Lehrmeinungen zum
Schächten und seiner Modalitäten vertreten und unterschiedliche Fatwas/
Fiqh-Gutachten für deutsche Gerichte zu eben diesem Thema verfaßt haben.
Wenn alles so klar wäre, so „allgemein vorgegeben“, gäbe es das Problem
der Genehmigung des Schächtens in Deutschland gar nicht, dann gäbe es ja nur
eine einzige Meinung. In Hessen haben wir jetzt erstmals den besonderen Fall,
daß die IRH für ihre Mitglieder sagt: „Schächten ohne Betäubung zum
Opferfest ist islamisch verbindlich!“ und diese Aussage islamologisch
untermauert durch die Fatwa des Fiqh-Rates der IRH, die von der
Mitgliederversammlung angenommen wurde. Vor deutschen Gerichten sagten bisher
alle anderen Fatwas von Saudi-Arabien, Ägypten, Marokko, Türkei usw. genau
das Gegenteil aus, und dies auch noch angeblich für alle Muslime in
Deutschland.
Es stellt sich natürlich die Frage, wieso Al-Islam nicht
diese eher fragwürdige Praxis kritisiert, daß im Ausland ansässige
Gelehrte, die keine Legitimation haben für alle Muslime in Deutschland
sprechen dürfen und unsere Lebensweise hier diktieren. Desweiteren stellt
sich die Frage, wer heutzutage die Autorität besitzt „für alle Muslime“
zu sprechen? Diesen Anspruch kann sicher keine Organisation erheben.
Genausowenig wie das Islamische Zentrum in München für alle Muslime in
Bayern oder auch nur in München sprechen kann, kann und will die IRH nicht
für alle Muslime, weder in Hessen, noch in Deutschland, sprechen.
IRH für Integration und gegen Selbstausgrenzung
Verkirchlichung des Islam
Weiter stellt Al-Islam folgende These auf: „ (das
Schächten) wird so in Abhängigkeit zur Mitgliedschaft in einer speziellen
Gemeinschaft gebracht.(...) und ein Schritt hin zur Verkirchlichung des Islam
in Deutschland (ist) getan.“ Diese Schlußfolgerung zeigt, daß der
Autor das Selbstverständnis des Islam, die islamische Geschichte und die
Grundlagen von Scharia und Fiqh ignoriert. Meinungs-Pluralismus in Fiqh-Fragen
ist islamimmanent, notwendig und gängige Praxis durch die gesamte islamische
Geschichte. Wenn das Befolgen einer bestimmten Fiqh-Meinung durch eine Gruppe
von Muslimen als „Verkirchlichung“ verstanden wird, dann müssen alle
Fiqh-Schulen als „Verkirchlichung“ verstanden werden, weil ihre
Fiqh-Auslegungen und Fatwas in manchen Fällen nur von einer bestimmten Gruppe
- und nicht von allen Muslimen - als verpflichtend angesehen werden.
Als Beispiele für die Unhaltbarkeit dieser Al-Islam-These
hier einige Fiqh-Meinungen von manchen zeitgenössischen „Gelehrten“:
- Die Straßenverkehrsordnung ist Menschenwerk und nicht
verpflichtend für Muslime.
- Autofahren für Frauen ist verboten
- Schulbildung und Berufsausübung für Frauen ist
verboten.
- Fotos von Menschen sind verboten, selbst Paßfotos.
Sicher ist, daß eine Reihe von Lehrmeinungen zu einer
Vielzahl von Themen nicht von allen Muslimen befürwortet und akzeptiert
werden. Manche Meinungen werden sogar als eindeutig „unislamisch“
verworfen, wie die o. g. Beispiele und insbesondere die Unterdrückung der
Frauen in den Bereichen Bildung, Berufsausübung und Teilnahme am
gesellschaftlichen Leben.
Es stellt sich jedoch die Frage, nach welcher Fiqh-Schule
der Autor eigentlich argumentiert und welcher dieser Meinungen er zustimmt?!
Es muß nochmals daran erinnert werden, daß allein beim
Thema Schächten bei der Frage der erlaubten und verbotenen Tiere Unterschiede
in den jeweiligen Fiqh-Schulen bestehen, sowohl bei Sunniten als auch bei
Schiiten. Hier gibt es keinen weltweiten Konsens.
Die IRH-Mitglieder folgen in der Frage des Schächtens von
Opfertieren einer bestimmten Fiqh-Meinung, zu der sie sich gemeinsam
entschieden haben. Dies war ein Meinungsfindungsprozess im islamischen Rahmen,
der zudem islamologisch untermauert ist durch die Fatwa des Fiqh-Rates der IRH.
Die IRH bedauert, daß der Autor prinzipielle islamische Fragen, wie sein
Zitat „das Wort Allahs das oberste ist“ in einem unpassenden Zusammenhang
bringt, mit einem Urteil zum Schächten. Trotzdem geht die IRH davon aus, daß
„das Wort ALLAHs“ mit der Entscheidung des Gerichts zur Erlaubnis des
Schächtens der Opfertiere bestätigt wurde.
Integration oder Parallelgesellschaft?
Al-Islam fährt mit der Frage fort: „Dürfen Muslime
ihre gottgegebenen Rechte und Pflichten - auch in der nichtmuslimischen
Gesellschaft-umsetzen, oder ist dazu die Genehmigung nicht-muslimischer
Autoritäten Voraussetzung?
Zu fragen ist hier: Was sind die gottgegebenen Rechte und
Pflichten? Wer definiert diese? Wer hat die Autorität diese zu definieren?
Sind dies normale Muslime, Journalisten oder ausgebildete Fiqh-Gelehrte? Wer
entscheidet, welcher Fiqh-Meinung der einzelne Muslim zu folgen hat? Der Autor
von Al-Islam oder die Muslime individuell?
Regeln der nichtmuslimischen Gesellschaft
Der Tenor der Argumentation des Autors liegt im gesamten
Artikel darin, daß er hervorhebt, von Regeln der nichtmuslimischen
Gesellschaft „eingeschränkt“ zu werden.
Ganz abgesehen von der Tatsache, daß der Idealzustand
einer islamischen Gesellschaft zur Zeit in keinem Land erreicht wurde und daß
niemand gezwungen wird in einer nichtmuslimischen Gesellschaft zu leben, ist
festzustellen, daß der deutsche Staat, die BRD, sich weder als christlich,
unchristlich oder anti-christlich, noch als islamisch, unislamisch oder
anti-islamisch definiert. Die Bundesrepublik ist religiös wertneutral,
säkular, d. h. nach diesem Selbstverständis dürfen der Staat und seine
Regeln und Verordnungen weder anti-islamisch, noch pro-christlich sein,
sondern zunächst mal für alle gleich.
Der Staat erläßt Regeln und Gesetze um das Zusammenleben
in einer Gesellschaft zu organisieren. Dies ist notwendig und gängige Praxis
in allen Gesellschaften. Muslime können in der BRD ihr Leben durchaus nach
dem Islam gestalten. Es gibt schließlich kein Gesetz, welches z. B. das Beten
verbietet oder das Fasten im Ramadan oder gar Muslime zwingt Alkohol zu
trinken oder Schweinefleisch zu essen. Die Absurdität der Fragestellung, ob
es vertretbar sei, „gottgegebene Rechte“ nur nach Genehmigung hiesiger
Autoritäten umzusetzen,“ wird noch deutlicher, wenn man sich andere „gottgegebene
Rechte“ und ihre Umsetzung in Deutschland ansieht.
Beispiel: Es ist ein gottgegebenes Recht, daß Muslime
Moscheen für das Gebet errichten. Nach der mehrdeutigen Fragestellung von
Al-Islam wären Muslime nicht verpflichtet, einen Bauantrag zu stellen und gar
die Baugenehmigung einzuholen. Es ist anzunehmen, daß beides beim Islamischen
Zentrum München erfolgte.
Beispiel: Es ist ein gottgegebenes Recht über den eigenen
Besitz jeder Zeit uneingeschränkt zu verfügen. Nach der obigen Frage von
Al-Islam wären Muslime, die ein Auto besitzen, nicht verpflichtet den
Führerschein zu machen oder die Straßenverkehrsordnung zu beachten.
Beispiel: Es ist ein gottgegebenes Recht und eine rituelle
Pflicht für Muslime Hadsch und Umra zu verrichten. Nach der Al-Islam-Frage
bestünde die Möglichkeit, daß Muslime für diese Reise nicht verpflichtet
wären, einen Paß oder gar ein Einreisevisum für Mekka und Medina zu
beantragen.
Neben den Pflichten zur Beachtung der Gesetze haben wir als
Muslime natürlich auch Rechte in Deutschland. Es stellt sich die Frage,
welche Position der Autor vertritt bei der Frage, ob Muslime berechtigt sind,
Zuwendungen von „nichtmuslimischen Institutionen“ in Anspruch zu nehmen,
wie z. B. Kindergeld, Mutterschaftsgeld, Krankengeld, Arbeitslosengeld und
andere Gelder.
Wie sieht es aus mit Steuern und Sozialabgaben,
Schulpflicht, Wahlrecht und politischer Partizipation? Ist dies etwa alles
verboten? Man sieht, daß eine Diskussion auf diesem Niveau und mit derartigen
Spitzfindigkeiten keinerlei Gewinn bringt.
Entscheidung des nichtmuslimischen Gerichts
Der Autor bemängelt weiterhin, „ daß den Mitgliedern
der IRH am Opferfest gestattet wird zu Schächten, weil es sich dabei - aus
der Sicht des nichtmuslimischen Gerichts - um einen rituellen Akt handelt.“
Hier irrt der Autor bzw. er gibt die Fakten falsch wieder.
Maßgebend ist weder die Sicht des nichtmuslimischen Gerichts oder gar die
Bewertung des Gerichts über die Verpflichtung zum Schächten. Maßgebend ist
einzig und allein das religiöse Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft
IRH, das durch die Fatwa islamologisch belegt wurde.
Zitat aus der Urteilsbegründung: „ Diese Auslegung
(die Fatwa) mag sie auch teilweise im Widerspruch zu der Auffassung anderer
Islamologen stehen, stellt für den Kläger als Mitglied der IRH eine
verbindliche Glaubensvorschrift dar, deren Ableitung aus dem Islam vom Gericht
nicht zu überprüfen ist. Es kann nicht Aufgabe eines staatlichen Gerichts in
einem religiös neutralen Staat sein, verbindlich aufgestellte Regeln einer
Religionsgemeinschaft auf ihre inhaltliche Vereinbarkeit mit den schriftlichen
Überlieferungen und Glaubensbekenntnissen zu überprüfen. (..) Bei der Fatwa
des Fiqh-Rates der IRH handelt es sich nicht um eine individuelle
Stellungnahme (...) Die Wertung des Fiqh-Rates durch eine für verbindlich
erklärte Fatwa ist vom Gericht nicht zu überprüfen.“
Abschließend ist festzustellen, daß ein Diskurs auf
islamologischer Ebene zu den angesprochenen Themen in Deutschland dringend
geboten ist. Fiqh-Bereiche, die interpretierbar sind, müssen unter
Berücksichtigung der hiesigen Situation neu untersucht werden. Die IRH hat
sich als Religionsgemeinschaft bemüht, zum Thema Schächten eine klare
Position zu beziehen, um als berechenbarer Partner sowohl für staatliche als
auch für nicht staatliche Institutionen agieren zu können.
„Für die Muslime in Hessen gilt somit, daß die
Beachtung der Rechtsnormen des deutschen/hessischen Rechtssystems also legitim
und obligatorisch ist, unter der Prämisse der Religions-, Gewissens- und
Meinungsfreiheit. Die Muslime in Hessen achten somit das Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland, die Verfassung des Landes Hessen und seine
Rechtsordnung.“
Darstellung der Grundlagen des Islam; Gebote der Scharia;
IRH-Schriftenreihe; ISBN3-933793-00-9
Die Mitglieder der islamischen Religionsgemeinschaft Hessen
geleitet von der gemeinsamen Überzeugung, dem Islam, insbesondere seiner
Moral und Ethik unterworfen zu sein, einig darin, das Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland, die Verfassung des Landes Hessen und das Recht zu
respektieren, in der gemeinsamen Absicht, den Muslimen in Hessen zu dienen,
den interkulturellen und interreligiösen Dialog zu pflegen und sich für eine
konstruktive Kooperation zum Wohl der Gesellschaft einzusetzen, einvernehmlich
in der Grundlegung, bei der Auswahl der Mittel und Wege zur Erfüllung der
gemeinsamen Aufgaben der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen, als einzige
Quelle die islamische Lehre im Rahmen des Grundgesetzes und im Einklang mit
den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Hessen anzuwenden,
geben sich folgende Satzung
Präambel der Satzung der IRH; IRH-Schriftenreihe Nr. 1