Das Thema Islamischer Religionsunterricht kann und
darf nicht losgelöst von der speziellen Situation der Muslime in
Deutschland erörtert werden. Historisch betrachtet sind Muslime in
Deutschland und in Europa mit einer völlig neuen Situation
konfrontiert. Sie leben hier erstmals als Minderheit in einer
nicht-islamisch ausgeprägten Gesellschaft und in einem säkularen,
weltanschaulich neutralen Staat. Dies gilt es zu berücksichtigen. Auch
auf die Gefahr hin Altbekanntes wieder aufzuwärmen, möchte ich vor dem
Einstieg ins eigentliche Thema in einem kurzen historischen Rückblick
die Ursachen unserer heutigen Zusammenkunft in Berlin und der jetzigen
Entwicklungen in Hessen und anderen Bundesländern beleuchten.
Wie Sie alle wissen, begann die Migration nach
Deutschland vor mehr als 40 Jahren. Man brauchte Arbeitskräfte und
importierte diese sozusagen als human resource. Weder die Migranten noch
die Aufnahmeländer hatten damals mit der heutigen Situation gerechnet:
Die Migranten kamen, um wieder zu gehen, aber sie blieben und holten
ihre Familien. Sie sind Teil dieser Gesellschaft geworden, betrachten
Deutschland als ihre Heimat und werden bleiben. Im Zuge dieser
Entwicklung kamen auch Muslime nach Deutschland. Muslime aus aller
Herren Ländern, aus unterschiedlichen Kulturkreisen mit verschiedenen
Sprachen und Traditionen. Muslime, die zwar der gleichen Religion
angehörten, aber ansonsten wenig Gemeinsamkeiten hatten, sogar keine
gemeinsame Sprache.
Das Aufnahmeland Deutschland hat in der Vergangenheit
eine Reihe von politischen Fehlentscheidungen getroffen oder besser
gesagt kaum Entscheidungen getroffen, um die Integration dieser Menschen
in geordnete Bahnen zu lenken. Diese Versäumnisse der Vergangenheit
sind das Erbe mit dem wir heute belastet sind. Die Muslime der ersten
Generation kamen mit der Absicht nur wenige Jahre zu bleiben um dann
endgültig zurückzukehren. Aus diesem Grund sahen sie keine
Notwendigkeit darin, sich in irgendeiner Weise in diese Gesellschaft
einzubringen. Und die Anwerbe-Gesellschaft hatte ebenfalls kein
Interesse an einer Integration. Die „Gastarbeiter“ lebten in
Arbeiterghettos, lernten ein paar Brocken Deutsch für den Vorarbeiter
und sparten für die Heimkehr zur Familie.
Die Situation änderte sich als der Familiennachzug
begann. Nun mußten andere Bedürfnisse befriedigt werden und bei den
Muslimen vor allem die religiösen Belange. Die bisherigen
provisorischen Gebetsräume in den Wohnheimen konnten diese Aufgaben
nicht länger erfüllen. Es begann die Zeit der Gründung der
Islamischen Vereine und Organisationen. Nach dem Vorbild der religiösen
Landschaft der Herkunftsländer entstanden in Deutschland „Filialen“
dieser Gruppierungen. Diese Orientierung zum Herkunftsland führte
natürlich dazu, daß die Islamischen Vereine in Deutschland national
völlig homogen waren. Jede Ethnie und Sprachgruppe bildete ihre eigenen
Vereine und arbeitete isoliert von den anderen ausschließlich für die
eigene Gruppe. Aber nicht nur die Religion, sondern auch die Politik der
Herkunftsländer spielte eine Rolle. So daß auch innerhalb der gleichen
Ethnie und Sprachgruppe aufgrund der politischen Orientierung
unterschiedliche Gruppen entstanden. Besonders anschaulich ist dies
beispielsweise bei den türkischen Muslimen, die eine ganze Reihe
großer Konkurrenzorganisationen gründeten.
Die mangelnden Sprachkenntnisse, das niedrige
Bildungsniveau der „Moscheegründergeneration“ und die Ungewißheit
aufgrund des „Gastarbeiterstatus“ führten zu einer verstärkten
Binnenorientierung und damit verbunden zu einer Abkapselung nach
außen.
Diese Isolierung betraf natürlich auch Muslime
anderer Herkunft, weil zum einen die gemeinsame Sprache fehlte und zum
anderen die Notwendigkeit zum Engagement in der hiesigen Gesellschaft
nicht gesehen wurde - die Rückkehroption stand noch im Vordergrund.
Die jetzige - oft beklagte - Vielfalt an Islamischen
Organisationen ist vor diesem Hintergrund betrachtet deshalb kein
Zeichen inner-islamischer Zerstrittenheit oder Uneinigkeit in
religiösen Fragen, sondern schlicht und einfach eine aus der
historischen Situation geborene pragmatische Notlösung.
Mit der zweiten und dritten Generation wuchs das
Bewußtsein der Notwendigkeit, sich nicht mehr länger im Herkunftsland
zu engagieren und zu orientieren, sondern umzudenken und sich den
Problemen hier zu stellen. Dieser Prozess führte auch zu der
Erkenntnis, daß viele Probleme nicht nur die eigene Gruppe, sondern die
Gesamtheit der Muslime aller Nationalitäten betreffen und daß die
Probleme hier nur gemeinsam mit den bisher als „fremd“ betrachteten
Muslimen anderer Vereine gelöst werden können. So stellte sich nach
mehr als 20 Jahren Nebeneinander der Islamischen Vereine erstmals die
Frage eines inner-islamischen Austauschs.
In Hessen folgte auf diese Erkenntnis relativ früh
eine Initiative der muslimischen Basis. Vertreter verschiedener
Islamischer Organisationen und Vereine überwanden ihre bisherige
Isolierung und Sprachlosigkeit und begannen gezielt mit dem
inner-islamischen Dialog. Nach einer intensiven Phase des
Kennenlernens schlossen sich die Muslime in Hessen zu einem
Zweckbündnis zusammen und gründeten 1994 den Islamischen Arbeitskreis
Hessen (IAK). Ziel dieses Kooperationsgremiums war die projektbezogene
Zusammenarbeit auf Landesebene. Mitglieder waren Islamische
Organisationen der verschiedenen Ethnien und Interessenverbände in
Hessen wie z.B. alle türkischen Dachorganisationen (ATIB, DITIB, IFH,
IGMG, Medrese-i-Nuriye, VIKZ), arabische, albanische, afghanische,
bengalische, bosnische, deutsche, marokkanische, pakistanische sowie
Studenten-, Frauen- und andere unabhängige Organisationen.
Erstes Projekt und damit symptomatisch für den
völlig neuen Ansatz dieser „islamischen Koalition“ war der
interreligiöse Dialog auf Landesebene. Der IAK-Hessen war
Gründungsmitglied der Islamisch-Christlichen Arbeitsgemeinschaft in
Hessen (ICA gegr. 1994) und kann auf eine nunmehr fünfjährige sehr
erfolgreiche und mittlerweile auch sehr vertrauensvolle interreligiöse
Zusammenarbeit zurückblicken.
Zweites IAK-Hessen Projekt war der Antrag auf
Einrichtung eines Islamischen Friedhofs in Hessen, sowie weitere
Projekte für eine verbesserte Integration und den Aufbau einer sozialen
Infrastruktur für Muslime. Dazu kam 1995 auf Beschluß der
Mitgliederversammlung des IAK-Hessen das Projekt „Einführung des
Islamischen Religionsunterrichts (IRU) in Hessen“. Im Rahmen dieses
Projektes fand Ende 1995 ein erstes Gespräch des IAK-Hessen mit dem
Hessischen Kultusministerium (HKM) statt, um die Voraussetzungen für
einen Antrag auf IRU zu erfragen. Das Ergebnis dieses informellen
Gespräches war folgendes:
IAK-Hessen kann vom HKM nicht als Ansprechpartner
in Sachen IRU akzeptiert werden.
Für die Einführung von RU benötigt das HKM als
Ansprechpartner immer eine „Religionsgemeinschaft“.
Die Vorgaben des HKM an einen von ihnen
anzuerkennenden Ansprechpartner „Religionsgemeinschaft“ waren
folgende:
Einzelmitgliedschaft - kein Zusammenschluß von
Organisationen wie IAK-Hessen
Körperschaft mit einer verfaßten Struktur und
einer religiösen Instanz
Gewähr der Dauer
Eigenverantwortliche schriftliche Definition der
religiösen Inhalte
In den folgenden Monaten (von Januar 1996 bis April
1997) arbeitete der IAK-Hessen intensiv an den vom HKM verlangten
Unterlagen. In Zusammenarbeit mit allen Islamischen Organisationen auf
Landes- und Bundesebene und mit vielen muslimischen Experten wurde ein
religiöses Grundsatzpapier erstellt, das im Original dann von allen
Islamischen Organisationen in Hessen mit Stempel und Unterschrift
bestätigt wurde. Diese „Darstellung der Grundlagen des Islam“ ist
ein in der westlichen Welt einmaliges religiöses Konsenspapier der
Muslime, das für den weltanschaulich neutralen Staat die religiösen
Inhalte verbindlich festlegt.
Mit der Ausarbeitung dieses gemeinsamen Papiers war
in Hessen von Seiten der Muslime der Durchbruch geschafft. Die Muslime
in Hessen hatten bewiesen, daß die von Politikern immer wieder
beschworene „Zerstrittenheit“ der Muslime nicht auf dem Islam
beruht, sondern auf soziologischen und migrationsspezifischen
Gegebenheiten wie Bildungs- und besonders Sprachdefiziten, Tradition und
nicht zuletzt auf einer mangelhaften bzw. fehlenden Integrationspolitik.
Im Mai 1997 legte der IAK-Hessen dem HKM das Ergebnis
seiner Arbeit zur Einsichtnahme vor:
Die schriftliche Definition der religiösen Inhalte
„Darstellung der Grundlagen des Islam“
Entwurf einer Satzung für die
Religionsgemeinschaft
Trägerschaftserklärung zum Projekt IRU mit
Stempel und Unterschrift aller Islamischen Organisationen in Hessen
Unterschriftenlisten von ca. 6.000 volljährigen
Muslimen für IRU
Konzept zum IRU
Im November 1997 wurde dann in Zusammenarbeit mit
allen Islamischen Organisationen in Hessen und nach den Vorgaben des HKM
die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) gegründet.
Die IRH ist ein Zusammenschluß von Einzelpersonen,
die der gleichen Religion, dem Islam angehören. Sie ist eine
rechtsfähige Körperschaft des Privatrechts mit verfaßter Struktur und
mit einer religiösen Instanz. Die IRH hat ihre religiösen Inhalte
eigenverantwortlich schriftlich festgelegt und sich dadurch gegenüber
anderen Religionsgemeinschaften abgegrenzt. Die IRH ist eine auf
Kontinuität angelegte Religionsgemeinschaft, da der überwiegende Teil
ihrer Mitglieder dauerhaft in Hessen ansässig ist und arbeitet. Viele
der IRH-Mitglieder sind in Hessen geboren und aufgewachsen, sie besitzen
teilweise bereits die deutsche Staatsangehörigkeit oder haben die
Einbürgerung beantragt. Die IRH ist beim Vereinsregister Frankfurt/M
eingetragen und als gemeinnützige Körperschaft anerkannt.
Struktur und Organisation der IRH entspricht den
Anforderungen an eine „Religionsgemeinschaft“ und ist in der Satzung
festgelegt. Mitglieder der IRH (z. Z. ca. 10.000) sind nur natürliche
Personen, volljährige Muslime jeglicher Herkunft mit Wohnsitz in mehr
als 100 Städten und Gemeinden in Hessen. Die IRH-Mitglieder bilden
IRH-Ortsgruppen, die ihren IRH-Vertreter (z. Z. 131) wählen. Alle
IRH-Vertreter bilden die IRH-Mitgliederversammlung, das höchste Organ
der IRH. Von der Mitgliederversammlung werden unter anderem die Projekte
beschlossen und der Vorstand gewählt. Als beratendes internes Gremium
wurde der Fiqh-Rat berufen, der als oberste religiöse Autorität der
IRH-Mitglieder fungiert. Er setzt sich zusammen aus acht Islamologen
verschiedener Fiqh-Schulen und weiteren beratenden Mitgliedern.
Durchführende Gremien der IRH sind Kommissionen (z.B. Kommission
Islamischer Religionsunterricht/KIRU) und Fachausschüsse.
Ziele der IRH sind die Vertretung der religiösen
Interessen der Muslime in der Öffentlichkeit, Förderung der
Integration, Schaffung von Transparenz sowie interkulturelle
Kommunikation und Kooperation durch Projekte in den Bereichen
Integration, Sozialarbeit, interreligiöser Dialog, Bildung und
Erziehung, Medien und Öffentlichkeitsarbeit. (Siehe Grafiken)
Nach der Erfüllung aller Vorgaben des Gesetzgebers
für die Einführung von IRU stellte die IRH im Mai 1998 beim HKM den
Antrag als „Religionsgemeinschaft“ auf Einführung Islamischen
Religionsunterrichts in hessischen Schulen als Regelunterricht auf
Deutsch im Rahmen des Erziehungs- und Bildungsauftrags der
Schule unter staatlicher Schulaufsicht mit ausgebildeten Lehrern und in
Übereinstimmung mit den Grundsätzen der
Religionsgemeinschaft (Hess. Schulgesetz 2. Teil § 8 Abs. 1)
Im Januar 1999 teilte das HKM der IRH mit, daß zur
internen Entscheidungsfindung des IRH-Antrags externe Studien nötig
seien:
Studie über die IRH vom Deutschen Orient-Institut
Studie über das religiöse Konsenspapier der
Muslime in Hessen „Darstellung der Grundlagen des Islam“
Verfassungsrechtliche Studie zum islamischen
Religionsunterricht
Die anforderten Gutachten liegt dem
HKM seit Dezember 1999 vor.
Seit Antragstellung im Mai 1998 bis
Juni 2000 liegen der IRH weder Informationen über die Ergebnisse der
Gutachten noch eine Antwort des Kultusministeriums vor.
Die IRH-Kommission für islamischen Religionsunterricht (KIRU) hat
für die Lehrerausbildung folgende Richtlinien festgelegt:
Allgemeine Voraussetzungen
Der islamische Religionsunterricht wird
grundsätzlich in deutscher Sprache erteilt durch:
muslimische Lehrkräfte mit Lehrbefähigung und
Lehrbevollmächtigung.
IslamologInnen mit entsprechender Lehrbefähigung
und Lehrbevollmächtigung.
Der Erwerb der Lehrbefähigung für muslimische
LehrerInnen erfolgt durch ein Lehramtsstudium für das Fach Islamologie
oder durch ein Studium bei einem Lehrstuhl für Islamologie.
Der Erwerb der Lehrbefähigung für deutschsprachige
IslamologInnen erfolgt durch eine universitäre Zusatzausbildung in
Religionspädagogik und Didaktik.
In Hessen sollen daher zunächst eingerichtet werden:
Eine universitäre Ausbildungsstätte für das
Lehramtsstudium “Islamischer Religionsunterricht”
Ein Lehrstuhl für “Islamologie”
Beim Nachweis eines entsprechenden Bedarfes sollen
weitere Lehrstühle errichtet werden. Die Professoren und
Lehrbeauftragte müssen IslamologInnen sein und werden auf Vorschlag der
IRH und Bestätigung des zuständigen Ministeriums bestellt. Die
Studien- und Prüfungsordnung sowie die Lehrinhalte werden in
Übereinstimmung mit der KIRU erstellt.
Folgende islamologische Fachgebiete sollen an diesen
Lehrstühlen u.a. gelehrt werden:
Aqida (Iman-Inhalte), Ibadat (gottesdienstliche
Handlungen), Achlaq (Morallehre), Arabisch, Quranwissenschaft,
Quran-Exegese, Wissenschaft der Quran-Rezitation, Biographie des
Gesandten Muhammad, Hadithwissenschaft, Islamische Geschichte, Fiqh
(Islamisches Recht), Fiqh-Hermeneutik, komparativer Fiqh, Weltreligionen
und Sekten.
Nach Einrichtung des ersten Lehrstuhles soll in
Hessen das Fach “Islamologie” in den Fächerkanon des
Lehramtsstudiums an Universitäten aufgenommen werden.
Übergangsregelung
Soweit Lehrkräfte für die Erteilung des islamischen
Religionsunterrichts noch nicht zur Verfügung stehen, werden von der
KIRU für eine Übergangszeit auch LehrerInnen anderer Fachrichtungen
sowie PädagogInnen/ ErzieherInnen mit entsprechender
Zusatzqualifikation zugelassen.
Zur Zulassung sind insbesondere folgende Nachweise zu
erbringen:
Bekenntnis zum Islam
Kenntnisse der Islamologie
Kenntnisse in Religionspädagogik und Didaktik
sehr gute deutsche Sprachkenntnisse
Die Ausbildung von Islamischen ReligionslehrerInnen
und IslamologInnen an deutschen Universitäten hat zum Vorteil, daß
durch die qualifizierte Auseinandersetzung mit dem Islam auf
akademischer Ebene u. a. folgendes eingeleitet wird:
Entwicklung einer deutschen Ausprägung des Islam
und ihrer Religionsgemeinschaft
Schaffung der Möglichkeit, aktuelle islamologische
Fragen und Probleme der Muslime in der hiesigen Gesellschaft unter
Berücksichtigung der veränderten Bedürfnisse der in der BRD
lebenden Muslime auf akademischem Niveau adäquat zu behandeln.
Das IRH-Konzept zum IRU stimmt in allen Punkten mit
den Forderungen des Gesetzgebers überein.
(siehe Konzept)
Die IRH fordert die Durchführung des IRU gemäß den
Verfassungsvorgaben auf Deutsch, unter behördlicher Aufsicht, im Rahmen
des hiesigen pädagogischen Konzepts und des Erziehungsauftrags der
Schulen, durch in Deutschland qualifizierte Lehrer, auf der Grundlage
der religiösen Inhalte der Religionsgemeinschaft sowie in
Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft.
Die IRH sieht in der Einführung von IRU eine der
wichtigsten integrationsfördernden Maßnahmen. Neben dem Erlernen der
deutschen Sprache, der Schaffung von Transparenz in der Arbeit der
Islamischen Organisationen und der Partizipation in den
gesellschaftlichen Gremien gehört zu einer erfolgreichen Integration
auch die Gleichstellung der Kinder in den Schulen.
Die IRH will Islamischen Religionsunterricht in der
Schule für alle muslimischen Kinder anbieten, um allen Kindern die
Chance zu geben ihre religiösen Wurzeln und Werte kennenzulernen,
besonders denen, die in ihrer Umgebung wenig religiöse Praxis finden.
Nur durch das Herausholen des Islam aus der „Migranten-Nische“
und die quasi staatliche Anerkennung als gleichwertiger Partner kann das
Stigma des Fremdseins wirksam bekämpft werden. Auf diese Weise kann
bereits im Kindesalter das Bewußtsein der Zugehörigkeit zur deutschen
Gesellschaft geschaffen werden und die religiöse Identitätsfindung der
muslimischen Kinder in Deutschland gefördert sowie Eltern und Moscheen
bei der religiösen Erziehung der Kinder unterstützt werden.
Durch die Befriedigung der elementaren Ansprüche
religiös orientierter Eltern nach einem qualifizierten
Religionsunterricht in der Schule wird auch die Etablierung einer
deutsch ausgeprägten islamischen Identität insbesondere der hier
geborenen Kinder eingeleitet. Wesentliches Element dieser neuen
Identität ist die Entwicklung einer neuen Form religiöser Sprache für
den Islam.
Der islamische Religionsunterricht nach dem Konzept
der IRH orientiert sich an den Erfahrungen und der Lebensumwelt der
Kinder. Er ist als offener Religionsunterricht konzipiert und wird
innerhalb des verfassungsrechtlich garantierten konfessionellen
Rahmens so transparent, offen und dialogorientiert wie möglich
gestaltet. So soll beispielsweise in der Grundschule
fächerübergreifend das soziale Umfeld der Kinder erschlossen werden.
Der Unterricht wird gleichermaßen ausgerichtet auf
die gegenwartsbezogene Vermittlung von Wissen, die Einübung islamischen
Handelns, die kritische Auseinandersetzung mit ethischen Werten und die
Reflektion von Alltagsrealitäten. Weitere wichtige Ziele sind die
Erziehung zum mündigen Menschen, die Betonung der Zugehörigkeit zu
dieser Gesellschaft und die Stärkung des Selbstbewußtseins. Der
Unterricht soll den Kindern helfen bei der Bildung einer individuellen
religiösen Identität und sie befähigen zur selbständigen
Auseinandersetzung mit dem Islam. Selbstverständlich nimmt die
Information über andere Religionen, deren Wertvorstellungen und
Geschichte einen angemessenen Raum ein. Die Kinder sollen befähigt
werden zu alternativem Denken und zu Toleranz gegenüber anderen
Religionen und Weltanschauungen.
Da der Sprache an sich eine werterschließende
Funktion zukommt, werden die Kinder vor allem bei der Erweiterung ihres
Sprachvermögens gefördert sowie bei der Entwicklung religiöser
Sprachfähigkeit. Ausreichende Sprachkompetenz auch im religiösen
Bereich erleichtert die eigene Lebenssituation zu deuten und somit auch
die notwendige Integration zu unterstützen. Die Einübung einer neuen
Form religiöser Sprache für den Islam und die Versprachlichung ist aus
diesem Grund ein Weg den Selbstfindungsprozess wahrzunehmen. Die
Verbalisierung stellt zwischen der religiösen Sprachführung und dem
tatsächlich Erlebten eine Beziehung her und gibt der Wirklichkeit der
gelebten Religiösität ein angemessenes Verständnis. Sprache ist eine
andere Form von Handlung, und verantwortungsvolles Handeln schließt
immer den Mitmenschen mit ein. Darüber hinaus knüpft sie Beziehungen
zwischen Mitmenschen und hat eine sozial fördernde Funktion inne. Durch
die Versprachlichung unterrichtsbezogener Sachverhalte wird die Basis
für Einstellungen und Werthaltungen gegenüber der eigenen Person, der
Mit- und Umwelt, der Schule und dem Lernen geschaffen. Dies führt nicht
nur zu verantwortlichem Handeln und zu einer verantwortlichen Gestaltung
des eigenen Lebens, sondern auch zur Mitgestaltung des sozialen Lebens.
Religiöse Antworten aus der Perspektive des Islam bieten Modelle und
Motive für ein humanes und sinnstiftendes Leben. Dies geschieht nicht
nur durch notwendige Wissensvermittlung, sondern auch durch die
Vermittlung und Erläuterung islamischer Moralwerte.
Heimat in der eigenen Religion zu haben, ist eine
wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration.
Wesentliches Ziel der pädagogischen Bemühungen ist es, den
SchülerInnen Wege aufzuzeigen, die eigene Lebenswirklichkeit aus der
religiösen Perspektive zu deuten und wahrzunehmen und darauf aufbauend
verantwortungsvoll zu handeln.
Neben der religiösen Bildung der muslimischen Kinder
und der Umsetzung des in der Verfassung verankerten schulischen
Bildungs- und Erziehungsauftrags und der Erfüllung der im Grundgesetz
verankerten Grundrechte bieten sich auch für die Mehrheitsgesellschaft
wichtige Vorteile.
Die Durchführung des Unterrichts in deutscher
Sprache hat zum Vorteil, daß die Iman- und Lehrinhalte des Islam und
die Unterrichtsziele und Lehrinhalte auf Deutsch verstehbar und
transparent werden.
Damit werden den politisch Verantwortlichen, der
Administration und einer breiten Öffentlichkeit die notwendige
Transparenz und in Bezug auf das Genehmigungsverfahren auch die
demokratisch notwendige Einflußmöglichkeit verschafft.
Die Einführung des IRU auf Deutsch wird neben der
staatlichen Einsichtsmöglichkeit in die Ziele und Inhalte zusätzlich
folgendes leisten:
Vorbeugung einer Selbstethnisierung durch
sprachliche/ethnische Ghettoisierung
Vorbeugung einer Einflußnahme extremistischer
Meinungen im Bildungsbereich
Entwicklung einer positiv besetzten religiösen
Identität
Abbau von Integrationshindernissen durch
realitätsbezogenen Unterricht
Förderung der kulturellen Kompetenz
Erziehung zur Dialogfähigkeit