Perspektiven zum islamischen Religionsunterricht
Erziehung zu kultureller
Kompetenz
Für jedes
Gemeinwesen sind gemeinsame Vorstellungen, sowohl im
realen/materiell-gegenständlichen als auch im fiktiv-normativen
Bereich konstitutiv. Ohne die in diesen Sphären erwachsene Kreativität
und Ideen wären historische Bewegungen und Innovationen undenkbar.
Dem Begriff Gesellschaft zuzuordnen sind vorrangig die realen
Kriterien, wie z. B. die Sozialsysteme, in die ein Kind hinein wächst
und als Mitglied aufgenommen wird (Familie, Peergroup, Bildungssystem,
Rechtsordnung, politisches System usw.). Dazu gehören weiterhin die
geopolitische Lage des Geburtsortes, die sozio-ökonomische (Umwelt-)
Bedingungen sowie die (Mutter-) Sprache/n. Diese unmittelbar gelebte
Realität ist so selbstverständlich, daß sie normalerweise kein
Identitätsproblem darstellen.
Zu den fiktiv-normativen Kriterien gehören Vorstellungen, die man mit
Kultur, Religion, Weltanschauung usw. assoziiert. Sie sind zwar
Bestandteil der Realität, werden jedoch nicht direkt aus der
unmittelbaren Erfahrung gewonnen, sondern vermittelt. Da sie nicht
gegenständlich faßbar sind, müssen sie als Abstrakta interpretiert
und gegebenenfalls den sich verändernden Bedingungen angepaßt
werden.
Bemerkenswert ist, daß Kreise von gemeinsamen fiktiv-normativen
Vorstellungen, sog. Kulturkreise ideele Verbindungen auch über
Grenzen hinweg schaffen.
Alle Kulturkreise einer Gesellschaft stehen
miteinander im ständigen Prozeß wechselseitiger Inspiration,
Herausforderung und Durchdringung, wobei jeder Kulturkreis sein
eigenes Weltbild, eigene Wertvorstellungen und Lebensstile definiert.
Sie stellen Orientierungsangebote für die Individuen dar, auf die in
gegebenen Situationen zurückgegriffen werden kann.
In jeder
Gesellschaft existieren mehrere Kulturkreise und jeder Mensch kann
sich zu mehreren dieser Kulturkreise zugehörig fühlen. Menschen können
sich beispielsweise zum jüdischen, christlichen oder islamischen, zum
deutschen, französischen oder marokkanischen, zum europäischen,
mediterranen, asiatischen oder amerikanischen Kulturkreis zugehörig fühlen
sowie sich gleichzeitig zum Sozialismus, Kapitalismus oder
Kommunismus, zu Demokratie, Menschenrechten und Ideen der Aufklärung
bekennen.
Für das Zusammenleben in unserer sich kulturell ausdifferenzierenden
Gesellschaft, die zunehmend von weltweiter Mobilität bestimmt wird,
stellt die Förderung kultureller Kompetenz eine Herausforderung für
Majoritäten und Minoritäten dar.
Kulturelle Kompetenz zielt darauf, Fertigkeiten im Umgang mit der
Vervielfältigung von Lebensstilen zu entwickeln und Verständnis zu fördern,
den eigenen Lebensstil (in Verbindung mit der eigenen Wir-Gruppe) als
eine von vielen Möglichkeiten zu verstehen.
Kulturelle Kompetenz bedeutet somit eigene Wertvorstellungen im
gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang zu akzentuieren und die eigenen
Kulturkreise im Sinne eines möglichen Entwurfs unter anderen Entwürfen
zu verstehen. Insofern bedeutet kulturelle Kompetenz auch
Immunisierung gegenüber Freund-Feind-Schemata bzw. Feindbildern.
Ziel des
Islamischen Religionsunterrichts ist es, den SchülerInnen durch eine
pädagogisch und didaktisch qualifizierte Unterweisung einen Einblick
in die islamischen Kultur zu ermöglichen und sie durch die
Vermittlung einfacher Kenntnisse der Islamologie, für den
Lebensstil/Kulturkreis der Muslime in Deutschland zu sensibilisieren
und somit bei der religiösen Identitätsfindung Anstoß für ein
nachhaltiges nachdenklich Machen zu geben.
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